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Neue und alte Projekte in Kenia – Eine Informationsreise
Kenias westliche Provinz Kakamega
ist verkehrsmäßig schlecht erschlossen.
Die einzige große Hauptstrasse führt von der Hauptstadt
Nairobi in das Nachbarland Uganda. Die meisten abzweigenden Landstrassen
sind in sehr schlechtem Zustand und infolge dessen sind viele Menschen
zu Fuß oder per Fahrrad unterwegs.
Wer kein eigenes Fahrrad besitzt, leistet sich ein Boda Boda. Auf
dem Boda Boda sitzt vorn der Radführer und auf dem Gepäckträger
der Fahrgast. An jeder Wegkreuzung stehen Boda Boda bereit, um ab
50/- Schillinge (0,50 Euro) aufwärts den Reisenden dorthin
zu bringen, wohin oftmals kein Motorfahrzeug fahren kann.
Boda Boda ist eine Wortschöpfung aus dem englischen Wort „border
= Grenze“. Zwischen den Hoheitsgebieten Kenias und Ugandas
befindet sich ein Streifen „Niemandsland“, das der Reisende
zu Fuß überqueren muss. Nur die großen Überlandbusse
fahren durch, kenianische Taxis halten auf Kenias Seite, die ugandischen
warten auf der anderen. Dazwischen übernehmen Fahrräder
den Transport von Gepäck und Menschen.
In Kakamega sind die Boda Boda wichtige Transportmittel. So auch
im Dorf Mulufu, wo eine Gruppe mit fünfzig Mitgliedern (meistens
Frauen) zehn private Fahrräder zu Boda Boda umgerüstet
hat. Nun sitzt der Fahrgast auf einem gepolsterten Sitz, die Füße
stehen auf Fußhaltern und unter dem Sattel sind Haltegriffe
angebracht. Junge Männer der Gruppe stehen ab morgens 6 Uhr
an Kreuzungen und warten auf Kunden. Ihre Einnahmen werden aufgeteilt
zwischen dem Besitzer des Fahrrads, dem Fahrradführer und der
Gruppe. Der Überschuss wird zur Versorgung der AIDS-Waisen
und sehr bedürftigen Familien verwendet.
In einem neuen
Projekt sollen nun die Boda Boda auch für Krankenbesuche und
den Vertrieb von Broten und Backwaren eingesetzt werden. Für
interessierte Jugendliche wird ein Kurs zur AIDS-Aufklärung
unter Jugendlichen angeboten (peer-group counselling), um aufzuklären
und Kondome zu verteilen. Bei Besuchen von kranken Nachbarn sind
praktische Hilfe, gute Ratschläge und sehr häufig auch
Mais und Gemüse nötig, denn viele Familien sind durch
die hohe Zahl der AIDS-Kranken in äußerste Armut gestürzt
worden.
(Nach Schätzung der Gesundheitsbehörden ist hier jeder
Dritte im mittleren Alter HIV-positiv, Frauen sind doppelt so häufig
betroffen wie Männer)
Mit einer ersten
Zuwendung von 150 Euro haben wir den Bau eines Brotbackofens unterstützt.
Nun sollen die nächsten Vorhaben angegangen werden. Am Ende
2004 werden Berichte und Fotos von den Partnern erwartet, so haben
wir es im März 2004 vereinbart.
Die Kindergärtnerinnen-Ausbildung
in der Steiner-School in Nairobi, die seit zwei Jahren (dreimal
zwei Wochen im Jahr) stattfindet, trägt Früchte. Durch
die großzügige Unterstützung der „Zukunftsstiftung
Entwicklungshilfe“ aus Bochum gehen neun der „Kranich“-
Kindergärtnerinnen (nursery-teachers oder pre-school-teachers
genannt) zu dieser Fortbildung. Bei den Single Mothers in Nairobi
(SMAK) und bei der Frauengruppe KIBISOM auf Rusinga Island wird
das Gelernte bereits in die Praxis umgesetzt. Da die Lehrpläne
in Kenia schon für die Dreijährigen verbindlich sind,
müssen die Lehrerinnen ihre neuen Methoden mit den herkömmlichen
kombinieren. Aber zunächst haben sie die Eltern über ihren
neuen „Unterricht“ informiert und um Verständnis
geworben. In der Praxis sind jetzt nämlich neue Akzente gesetzt
worden und die sehen so aus:
Die Lerneinheiten sind nicht mehr länger als 15 Minuten. Der
Vormittag wird aufgelockert durch Körperübungen und Eurythmie.
Freispiel wird sehr ernst genommen und nimmt den breitesten Raum
ein. Die Kinder können sich mit ihrer Kindergärtnerin
frei unterhalten.
Üblicherweise mussten schon die kleinen Kinder Buchstaben,
Zahlen und Begriffe (Tiere, Küchengeräte, Verkehr etc)
deklamieren. Einer spricht vor, im Chor die anderen nach. Jedes
Wort mehrmals, auch auf englisch, denn englisch gilt als die „Bildungssprache“,
die Lehrerin dirigiert mit dem Zeigestock frontal. Dabei sitzen
oder stehen die Kinder auf Stühlen oder auf dem Fußboden.
Einige dieser Übungen werden noch immer abgehalten, „um
nicht den Zorn der Eltern oder Schulvorgesetzten“ auf sich
zu ziehen. Aber das Gelernte aus dem Seminar ist überzeugender.
Die Kindergärtnerinnen erkennen in den Kindern deren Persönlichkeit,
entdecken Individuelles und versuchen darauf einzuwirken. In der
Zeit der vielen Waisen-Kinder, die das Leiden und den Tod der Eltern
verarbeiten müssen und immer noch viel Schlimmes erleben, bekommt
eine solche ganzheitliche Erziehung von Kindern einen neuen Stellenwert.
Sie wird vielleicht etwas auffangen, was es zu Hause nicht mehr
gibt und Selbstbewusstsein in den Kindern stärken.
Zum Beispiel haben wir gemeinsam während unseres Besuchs „Freispiel-Ecken“
eingerichtet. Mit Stöckchen, Steinen und Gras bauen die Kinder
nun ihre Wohnhütten, die Küche oder das Dorf auf, finden
sich in kleinen Spielgruppen zusammen und spielen und lernen, so
wie sie es selbst mögen. Die Kindergärtnerinnen können
auf einzelne Kinder eingehen, herausfinden, wer Probleme hat und
erzieherisch tätig werden. Nicht zuletzt darf ein Kind auch
auf dem Schoß der Lehrerinnen sitzen und Trost und Wärme
spüren – etwas, was bisher in dem System undenkbar war!
Zwischendurch bekommen alle Kinder eine „Speisung“ mit
Porridge-Brei (Mais und Hirse, Milch, Öl, Zucker). Sowohl die
Slum-Kinder in Nairobi als auch die Kinder auf dem Land von Rusinga
sind fast alle mangelernährt und manche essen im Kindergarten
oft das erste Mal am Tag.
In Nairobi bei SMAK gibt es außerdem noch eine „Krabbelstube“.
Hier werden die Kinder der Teenager-Mütter betreut, während
diese im Unterricht sitzen. Allgemeine Schulabschlüsse und
Berufsschulkurse werden hier angeboten, mit der Unterstützung
der Walter-Breitenstein-Stiftung aus Kiel. Die seit zwei Jahren
betriebene Non-Formal-School, ein Angebot für die Slum-Kinder
und Schulabbrecher, werden wir einstellen, denn die neue kenianische
Regierung bietet eine seit kurzem schulgeldfreie „Grundbildung
für Alle“ an. Wir aber wollen noch mehr junge Mütter
aufnehmen, denn sie sind auch diejenigen, die mit einem hohen HIV-Ansteckungsrisiko
leben. Den ersten zwanzig Schneiderinnen haben wir ihr Abschluss-Zertifikat
überreicht und für die sechs besten Absolventinnen gab
es eine Nähmaschine als Start-Leihgabe für ein eigenes
Geschäft.
Diese Eindrücke
aus unseren Projekten sind ermutigend, die Situation im Hinblick
auf HIV/AIDS in Kenia ist eher zum Verzweifeln. Wir haben sehr viele
schwer Kranke gesehen, die allerwenigsten von ihnen können
sich Medikamente leisten, noch nicht einmal die Fahrt zum Krankenhaus.
Viele von ihnen sind völlig allein oder aus der Bahn geworfen,
sie hungern und leben in ärmlichster Umgebung. Ihre Infektionskrankheiten
werden nicht behandelt und die neuen AIDS-Medikamente sind dort,
wo sie wohnen, nicht zu haben. Außerdem kosten sie zwischen
2000/- und 7000/- Schilling pro Monat (20,- bis 70,- Euro) je nach
Krankenhaus. Dort werden Tabletten aus Indien in einer einfachen
Kombination angeboten (z.B. von den Medecins Sans Frontiere in Homa
Bay), aber um in die Therapie aufgenommen zu werden, darf der Patient
noch nicht zu krank sein, muss regelmäßig und zuverlässig
erscheinen und etwas Geld haben. Von solchen Patienten haben wir
drei gesehen, die ganz gut zurecht kamen.
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